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Der befriedigte Mensch

Vor einigen Jahren habe ich den Transfer von serieller Monogamie, in einen polyamoren Lebensstil gemacht. Die. beste. Entscheidung. meines. Lebens. Rückblickend stelle ich eine grundsätzliche Veränderung fest, wenn ich potentiellen Partnerinnen – aber auch einfach lieben Menschen im Allgemeinen – begegne: 

Ich habe es nicht mehr nötig abzuwägen. Ich bin ein weitgehend befriedigter Mensch, der es sich leisten kann, sich selbst zu sein. Das kannte ich vorher nicht. Was ich damit meine?

Früher war ich in solchen Begegnungen gezwungen eine Gesamtrechnung zu erstellen. Ich musste die – für mich – positiven und die negativen Eigenschaften meines Gegenübers gegeneinander abwägen. Ich mochte die intimen, endlosen Gespräche mit A, konnte aber ihre Spontanität und (aus meiner Sicht) Unzuverlässigkeit nicht ausstehen (!). B wäre supereinfach für einen gemeinsamen Haushalt gewesen (der getting-married-no, settle-down-yes type auf OkCupid), aber es fehlte mir der Drang nach Abenteuer und Entdeckergeist. Oder C. hatte diese starke sexuelle Energie, aber unsere übrigen Interessen (wie auch politischen Überzeugungen) gingen m-e-i-l-e-n-weit auseinander. Mit D. wäre ich liebend gerne nach einem langen Arbeitstag ins Sofa gesunken aber vermutlich das ganze Wochenende (und vermutlich die nächsten paar Jahre) nicht mehr rausgekommen – weil wir beide nicht die Energie haben was anzupacken. 

Allesamt Personen, die das Potential hatten, bei mir vorhandene Bedürfnisse zu befriedigen – aber durch das monogame Gedankengut (so wie ich es verstand) auch automatisch mittelfristige Defizite geschaffen hätten. (Schlaue Leser*innen mögen nun einwenden, dass ich ja auch vorher die Möglichkeit gehabt hätte, alle Bedürfnisse ausser den sexuellen auszulagern. Hatte für mich in der Praxis aber nie funktioniert und ich merke den qualitativen Unterschied erst jetzt.)

Ebenfalls in diese Gesamtrechnung mit reingespielt hat dann jeweils noch meine aktuelle Verfassung. Wenn ich gerade eher mit Einsamkeit zu kämpfen hatte, fühlte ich mich stärker zu entsprechend fürsorglichen Personen hingezogen. War ich selbstbewusst und fühlte ich mich stark, fand ich autonome Menschen hochattraktiv. Und .. ja das war definitiv auch oft der Fall .. bestanden sexuelle Defizite, nahm ich einen ganzen Katalog an unbefriedigenden Eigenschaften meines Gegenübers in Kauf um dieses Grundbedürfnis zu decken. Doof, nicht?

Das führte unweigerlich auch dazu, dass ich ‚mit dem grössten Defizit voraus’ in neue Begegnungen ging. Natürlich liess ich mir das nicht anmerken 🙂 aber mein ganzes Verhalten war rückblickend darauf ausgerichtet, eine bestmögliche Befriedigung meines Bedürfniskatalogs zu erhalten. 

Und das ist heute definitiv anders. Heute kann ich mich selber sein, weil ich nichts zu verlieren habe. Meine Bedürfnisse sind breit abgestützt und ich kann mir erlauben mich selber – ja gar ehrlich zu sein. Und das tollste daran? Ich mache unglaublich gute Erfahrungen damit. Denn die Beziehungen die nun entstehen, bauen auf ein authentisches Fundament und ich kann als befriedigter Mensch in eine Begegnung reingehen.

(Erleuchtete Leser*innen werden nun vielleicht noch einwenden, dass der Mensch sich selbst genug sei und daher immer authentisch in neue Begegnungen gehen kann. Ich werd’s melden falls ich dort noch ankomme..)

Erfahrungsberichte


Marc

Hat das Buch ‚ethical slut‘ gelesen und ist seither Feuer und Flamme für Polyamorie. Er greift nach den Sternen und will mutig seinen Weg finden. Freude im Leben reicht ihm nicht, er will Euphorie. Hat vermutlich ein ADHS, aber mag sich eigentlich so.