Das Leben ist kein Polyhof.
Klar habe ich meiner verheirateten Studienkollegin gesagt, wie sehr ich ihre Art, die Welt zu sehen, schätze. Aber dass ich gerne einmal mit ihr einen Abendspaziergang am Fluss machen würde … Wir dann auf einer Bank eine Flasche Wein trinken und über die familiäre Rollenverteilung der Enten philosophieren könnten … Wir uns fragen würden, warum Wasser den Weg des geringsten Widerstandes wählt, während wir Menschen oft das Gegenteil tun … Sich dabei vielleicht unsere Schultern berühren und wir für einen kurzen Moment einfach still auf die reflektierenden Sonnenstrahlen schauen … Wir vielleicht das Gleiche fühlen würden in diesem Moment … Das habe ich für mich behalten.
Natürlich sage ich meiner Teamleiterin, dass ich ihre Entscheidungsfähigkeit und Professionalität bewundere. Doch wie gerne ich mit ihr einmal, bei einer Tasse Espresso, in einem belebten kleinen Café sitzen würde … Die Gespräche und Geräusche um uns herum zu einem intimen Schutzraum verschmelzen … Ich sie fragen könnte, was sie in ihrem Innersten antreibt, wovon sich ihre Seele nährt und ihr Verstand träumt … Welche Ängste sie wach halten und mit welchen unerfüllten Wünschen sie gelernt hat zu leben … Vielleicht würde ich mich darin selber erkennen, der einen oder anderen Passage mit einem leisen «hmhm» zustimmen … Und wir würden uns für einen kurzen Moment tief verbunden fühlen … Aber diese Fragen stelle ich nicht.
Oder die Kundin am Telefon, deren sinnliche Stimme mich jedesmal erregt und wundern lässt, ob ihre Berührungen wohl genauso sanft sind. Die Nachbarin und Mutter von zwei Kindern, die eine Tiefe in den Augen trägt deren Geschichte ich gerne hören möchte. Der Busfahrer am Morgen, die Jogger im Wald und der flüchtige Blickkontakt mit den Passant*innen am Fussgängerstreifen.
Es geht hier nicht um sexuelle Fantasien. Sondern um die Sehnsucht nach authentischen Begegnungen, altruistische Erfahrungen und intimer Verbundenheit. Und die Schwierigkeit, dass wir uns alle in gesellschaftlichen Rollen und Normen bewegen, die unseren Weg vorzeichnen und unseren Spielraum abstecken. Und das ist – für mich zumindest – nicht ganz einfach. Es scheint manchmal eher die schwierigste Sache auf der Welt zu sein, obschon wir – spoiler alert – glaub alle irgendwie dasselbe suchen.
Erstmal fühlen.
Und ich habe bereits Jahre gebraucht, um diese Zuneigung überhaupt fühlen zu dürfen können. Gemäss meiner primären Sozialisation, war das Kontingent für Vertrautheit und intimes Interesse, auf eine einzelne Person begrenzt. (Zumindest im gegengeschlechtlichen Setting) Um dieses auf eine andere Person übertragen zu dürfen, bedurfte es der Freigabe durch Erstere. Dies brachte mich regelmässig in Konflikt mit meinem Empfinden. Denn die gefühlte Zuneigung für meine Mitmenschen, das Bedürfnis nach Nähe, Verbundenheit und Intimität, standen in einem starken Widerspruch zu den Spielregeln meines Alltags. Es hat eine ganze Reihe von inneren Dialogen, stapelweise Büchern, korrigierenden Erfahrungen, und den einen oder anderen therapeutischen Kunstgriff gebraucht um diese Gefühle benennen und einordnen zu können. Es geht mir dabei übrigens nicht darum, das System in dem ich mich befinde abzuwerten.
Es geht mir darum, dass meine persönlichen Gefühle nicht in diesen Raster passen und ich mich weigere sie deshalb zu beschneiden. Klar gibt ein Raster Struktur und Ordnung, macht den Alltag berechenbar und damit vermutlich auch erst möglich. Aber er ist kein Abbild meiner inneren Wirklichkeit und raubt meinem Wesen seine Lebendigkeit.
Jahrelang habe ich mich seither gefragt, wo sie sind. Die Leute die ähnlich und zugleich anders sind. Die nicht in’s Standardmodell passen. Die mit durchlässigen Grenzen durch die Welt gehen. Die bereit sind zu fühlen und fühlen zu lassen. Die verschwenderisch lieben wollen und können. Die sich verletzlich machen, nur um dem Gegenüber dasselbe zu erlauben. Die gezwungen sind, ihr Glück ausserhalb der Masse zu suchen. – Gefunden habe ich einige von ihnen im polyamoren Kontext.
Denn obschon es schlussendlich auch wieder nur eine Erklärungshilfe ist, so bietet die Polyamorie doch ähnlichdenken Menschen einen Orientierungspunkt. Sie ist ein nicht-wirklich-so-geheimes-Erkennungszeichen dafür, dass jemand mehr fühlt als er in den allgemein bekannten Beziehungssystemen unterkriegen kann. Und das kann eine i-m-m-e-n-s-e Hilfe sein, auf der Suche nach ähnlich denkenden Menschen.
Somit, auch an dich gerichtet, liebe*r Leser*in, falls du auf einem ähnlichen Weg bist; es gibt uns, und wir sind zahlreich.
Erfahrungsberichte, Kommunikation