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Den Rahmen gestalten

Am Dienstag vor einer Woche hatte ich – nach einer unruhigen Nacht –einen vollgeplanten Arbeitstag zu bewältigen. Ich musste mich zudem mit Kundenreklamationen herumschlagen, meine Teamkolleg:innen haben mich genervt weil sie sich über den Wintereinbruch freuen (was gibt’s an dieser Kälte zu lieben!?) und ich hatte meine Brille zuhause liegen gelassen. Einziger Lichtblick: Ein Treffen mit meiner Partnerin am Abend. Oder so meinte ich zumindest. Wir fanden uns kurz nach dem ankommen in einem Gespräch über unsere gemeinsame Ferienplanung wieder: Eine nicht gänzlich entspannte Situation, da wir beide noch weitere Beziehungen führen und gegenseitig mit Eifersucht und Selbstabwertung ringen, wenn das Gegenüber etwas unternimmt. Ich fühlte mich schon bald missverstanden, angegriffen, eingeschränkt und überhaupt, versteht sie denn nicht, dass ich nach einem langen Tag etwas Fürsorge brauche? Liebt sie mich überhaupt? Also ich werde jetzt sicher nicht den ersten Schritt auf sie zu machen. Jetzt ist zuerst mal sie dran. Ich habe schon den ganzen Tag … wir sassen irgendwann schweigend beim Nachtessen.

Ein paar Tage später verbrachten wir ein verlängertes Wochenende in den Bergen. Wir haben am Morgen im Bett Kaffee getrunken und gekuschelt. Danach in einer süssen kleinen Bäckerei frisches Brot geholt und sind auf einem Umweg dem Fluss entlang zurück geschlendert. Wir haben nackt im kalten Wasser gebadet. Nach dem Frühstück ist ein erneutes Gespräch zu unserer Ferienplanung entstanden. Irgendwie war es mir diesmal möglich, meine Bedürfnisse auszudrücken und die Sicht meiner Partnerin zu verstehen. Ich möchte ja eigentlich, dass sie glücklich ist und ich verstehe es, wenn sie etwas Freiraum braucht. Und wenn sie bereit ist, mir auch ein wenig entgegen zu kommen, dann kriegen wir das gemeinsam schon gebacken. Schliesslich sind wir ein Team und wir machen Dinge möglich.

Aber Moment mal? Wieso hat das jetzt geklappt und vorher nicht? Ist es das Bergwasser? Der Spaziergang? Hat die Bäckerin etwas ins Brot getan? Oder beeinflusst am Ende mein Nervensystem die Art wie ich denke, kommunizieren oder zuhören kann?

Denn es ist schon ein wenig auffällig, wie ich mit einer guten Mütze Schlaf, einer wohltuenden Mahlzeit, etwas Bewegung und einem ruhigen Gemüt zu merklich besseren Gesprächen in der Lage bin. Ich habe mehr Verständnis, mehr Geduld, bin weniger angegriffen und habe eine optimistische Grundhaltung.*

Ob es sich gar lohnen würde Gespräche aktiver zu planen? Wir dehnen uns ja auch vor dem Sport oder überlegen uns vor dem Kochen, ob wir die Zeit und alle Zutaten beieinander haben. Vielleicht könnten so Verletzungen eher vermieden werden und manche Themen würden weniger oft anbrennen.

* Natürlich führen manche Themen oder Trigger unausweichlich zu starken Gefühlen. Ein Teller Pasta wird nicht verhindern, dass wir aus einer Verletzung heraus oder im Selbstschutz mal unsere Worte ungünstig wählen. Und doch mag ein beruhigter Körper manchmal dem Herz und Kopf etwas nachhelfen, um ebenfalls etwas zur Ruhe zu kommen.

Erfahrungsberichte, Kommunikation, Ratgeber


Marc

Hat das Buch ‚ethical slut‘ gelesen und ist seither Feuer und Flamme für Polyamorie. Er greift nach den Sternen und will mutig seinen Weg finden. Freude im Leben reicht ihm nicht, er will Euphorie. Hat vermutlich ein ADHS, aber mag sich eigentlich so.