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Du gehst bald wieder, oder?

Die Vielfalt an Optionen in der Polyamorie sind für mich sowohl etwas Schönes als auch eine Schwierigkeit. Wenn ein polyamor lebender Mensch sich dafür entscheidet mit mir viel Zeit zu verbringen, bedeutet mir das sehr viel. Denn dieser Mensch entscheidet sich dadurch wiederholt dafür, dass die Zeit mit mir wertvoll für ihn/sie ist.

Gleichzeitig ist diese Bandbreite an Möglichkeiten auch ein hartes Pflaster. Wenn ich liebe, dann mache ich mich verletzlich und bin automatisch mit gelegentlichen Verlustängsten konfrontiert, die mich ziemlich durchschütteln können. Wird der geliebte Mensch noch da sein, wenn ich mich das nächste Mal nach ihm umschaue? Was ist, wenn ein Mensch auftaucht, der attraktiver, schlauer, aufregender oder einfach neuer ist als ich? Was ist, wenn ich mal etwas kompliziert bin oder eine Zeit lang nicht das bieten kann, das ich jetzt biete (Zeit, Sexualität, Energie)? Was ist, wenn wir uns aneinander gewöhnen und die Suche meines Gegenübers nach Verliebtheitsgefühlen dazu führt, dass ich mich ersetzt fühle?

Neu gewonnene Intimität ist ein sehr kostbares Gut, das ich unglaublich wertschätze. Gleichzeitig triggert es viele Ängste in mir, die sich immer mal wieder zwischenschalten und mir folgendes Bild vor Augen halten: Dass ich verlassen werde. Dass ich nicht genüge. Dass, wenn mein Gegenüber dann herausfindet, wie ich wirklich bin, der ganze Zauber verfliegt. Oh – welch ein existenzielles Drama!

Diese Ängst sind ein Stück weit immer mit dabei, wenn man eine intime Beziehung aufbaut. Dennoch werden sie durch ein verzerrtes Bild meiner selbst verstärkt.

Es zeigt sich in meinem Leben wiederholt, dass ich mein Selbstbild aktiv aktualisieren muss. Dass ich es einfach auch mal geniessen darf, wenn mich jemand mag. Dass ich mich gut (und vorallem gut genug) fühlen darf und das auch so bleiben darf, falls ich mal verlassen würde. Dass sich Veränderung nicht dadurch verhindern lassen, dass man daran herumgrübelt und sie allenfalls noch selbst unbewusst mitkreiert (Selbsterfüllende Prophezeiung ahoi!). Dass ich es verdient habe Intimität zu geniessen und mich geliebt zu fühlen. Dass ich eigentlich viel stärker bin, als ich es mir zuschreibe, obwohl meine Erfahrungen eigentlich ein klares Bild zeichnen.

Also übe ich mich in Geduld. Geduld mit mir selbst. Sanfte Sprache mir selbst gegenüber. Und ich übe mich darin, mir zu erlauben auch diese Seite von mir meinen geliebten Menschen zu zeigen. Denn das ermöglicht wiederum eine Vertiefung der bestehenden Intimität.

Und, wenn ich ganz tief in mich hineinhorche, höre ich mich zu mir selbst sagen: „You’re a badass. You’re loved. You’re thriving. You know that. Keep going.“

Erfahrungsberichte


Anonym

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