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Eifersucht vs. sexuelle Entwicklung

«Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Frau mit jemand anderem Sex hat. Nein, das gibt’s bei uns nicht.» – hat mir kürzlich ein lieber Freund gesagt, als wir auf meinen polyamoren Beziehungsstatus zu sprechen kamen. «Das würde ich nicht aushalten. Dann wär’s vorbei.»

Diesem Thema der exklusiven Sexualität begegne ich oft als erstes, wenn ich mit Menschen über verschiedene Beziehungsformen rede. Für viele wird an diesem Punkt die polyamore Beziehungsform erst greifbar. (Manche scheinen dies auch als einziges Merkmal der Polyamorie zu sehen. Bitte nicht nachmachen! Wir haben hier eine catchy-definition geschrieben die hilft.)

Spoiler vorab: Ich finde solche Gespräche hochinteressant und freue mich, wenn zwei Menschen in ihrer Beziehung eine gegenseitige Exklusivität leben können. Gibt’s nix dran auszusetzen.

Und das Hauptargumente ist mir auch keinesfalls fremd. Wenn ich mir vergegenwärtige, dass eine von mir geliebte Person, mit der ich sexuelle Begegnungen teile, jemand anderem dieselbe sexuelle Liebe Bestätigung schenkt, habe ich unmittelbaren Zugang zu meiner Eifersucht … dann meinem Minderwert … dann meiner Verlustangst und – wenn ich mich gehen lasse – einer regelrechten kleinen Existenzkrise. Die spontan ausgelösten Gefühle sind unangenehm und wollen beruhigt werden. Mein Verstand zieht dann mit folgendem Argument ins Gefecht:

«Die darfst nicht zulassen, dass sie mit jemand anderem Sex hat. Sie beraubt dich. Sie liebt dich doch, wie kann sie so egoistisch sein? Und schau mal diese Bilder die ich uns ausmalen kann…»

Gleichzeitig, kann ich aber auch einen Perspektivenwechsel erzwingen und das Szenario etwas differenzieren. Was ist, wenn sie Rollenspiele machen will, Tantra Massagen mag, oder mal gefesselt von der Decke hängen möchte? (Etwas, dass vielleicht so ganz und gar nicht meinen Vorlieben entspricht.) Was ist mit gleichgeschlechtlichen Erfahrungen? (Etwas, dass ich ihr – Stand heute – nicht bieten kann.) Was ist mit Sex im Wald, am Konzert, oder im Büro? (Ok das geht – aber kann man davon je zu viel haben?) Was ist mit Berührungen eines anders geformten Körpers, eines anderen Charakters oder einer anderen Haut? Was mit Flirten, Kuscheln, Petting oder Sexting? Oder was ist, wenn sie auch einfach ihren Bedürfnissen nachgehen will und selber noch nicht weiss wohin das führt?

Diese Gedankengänge geben meinem Verstand Zugang zu einer etwas anders formulierten Aussage:

«Du darfst nicht zulassen, dass deine Partnerin deinetwegen auf ihre sexuelle Verwirklichung verzichtet. Du beraubst sie. Du liebst sie doch, wie kannst du so egoistisch sein? Stell die mal vor wie glücklich sie sein könnte…»

Beide Argumente klingen eigentlich ganz vernünftig und nachvollziehbar – stehen aber in einem ziemlichen Widerspruch. Mache ich nun die meine (sexuellen) Grenzen zu den Grenzen meines Gegenübers? Sprich: Ihre Selbstverwirklichung darf nur soweit gehen, wie ich nicht in schwierige Gefühle komme? Und falls ja – lasse ich mich im Gegenzug auch begrenzen? Und bin ich mir dieser Begrenzung bewusst?

It’s a me-problem,
not a you-problem.

Nochmal wiederholt. Es gibt absolut nix dran auszusetzen, wenn zwei Menschen sich entscheiden, gegenseitige Exklusivität (und Verzicht) als Rahmenbedingung ihrer Beziehung auszuhandeln. Dinge erhalten oft erst in der Begrenzung ihren Wert und Beziehungen sind schlussendlich ein Handel verschiedener Parteien. Die Polyamorie ist da ziemlich gleich, einfach ein bisschen anders.

Meine Schwierigkeit damit aber ist, dass ich selber gerne die Freiheit geniesse, den mir lieben Menschen authentisch und befreit zu begegnen. (Und das mag Sexualität miteinschliessen oder auch nicht.) Da wird meine Neugierde aktiviert, ich fühle mich lebendig, bin mit meinen Gefühlen im Einklang, mein Selbstwert erfährt Bestätigung und – um noch ein fancy-Fachwort einzubringen – Endorphin wird ausgeschüttet. Und es käme mir dabei nie, nie, nie in den Sinn, jemanden damit verletzen oder verunsichern zu wollen.

Aber, wenn dann ein mir lieber Mensch sich ebenso verhält, erhalte ich auch Zugang zur Gegenseite dieser Dynamik. Ich bin verunsichert, fühle mich zurück gelassen, die Eifersucht steigt hoch. Obschon sie mich ja (hoffentlich) damit ebensowenig verletzen will … da liegt doch der Verdacht nahe, dass meine Interpretation der Situation mit diesen Gefühlen zu tun hat. Und nicht das Verhalten des mir lieben Menschen.

Und hier komme ich persönlich immer wieder an einen inneren Scheideweg: Welche Perspektive lasse ich denn jetzt gelten? Freue ich mich daran, dass ein mir lieber Mensch seine sexuelle persönliche Freiheit (auch) geniessen kann? Oder fokussiere ich auf meine hypothetischen Ängste und drohenden inneren Gedankenkreisen?

Denn was hier vermutlich passiert, ist, dass mein Gegenüber aus dem gesellschaftlich- oder von mir definierten Rahmen der (sicheren) Beziehung tritt. Dadurch wird mein Bindungsverhalten und – je nach Kindheit – meine Verlustangst aktiviert. Kommt sie zurück? Mag sie mich noch? Bin ich ihr wichtig? Bin ich gut genug? Bin ich liebenswürdig? Das sind plötzlich Fragen, die eigentlich gar nichts mehr mit meinem Gegenüber zu tun haben, sondern von mir selber beantwortet werden müssen. Und die haben zunächst auch nix mit Sex zu tun, sondern mit meiner Kindheit und meiner inneren Wirklichkeit.

Setze ich mich diesem Umstand bewusst aus, bin ich gefordert, die Situation aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und meine hypothetischen Ängste mit der Realität abzugleichen. Ich bin angehalten zu kommunizieren, meine Bedürfnisse anzubringen, mich sichtbar verletzlich zu machen, individuelle Rahmenbedingungen auszuhandeln und vor allem – mich mit meinen Gefühlen auseinander zu setzen.

S-u-p-e-r-s-p-a-n-n-e-n-d, nicht?
Wenn das mal keine Spielwiese für persönliche Reflexion ist.

Eifersucht, Sex


Barry

Sucht fortlaufend herausfordernde bereichernde Erfahrungen, die den eigenen Horizont erweitern. Ist sich ziemlich sicher, dass Normen nur Erklärungshilfen und keine Gebrauchsanweisungen sind. Mag starken Kaffee in der Morgensonne, aufrichtige Menschen, schlaue Hörbücher, guten Sex und wie der Wind über grasige Landschaften zieht.