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Sex — Sehnsucht und Erfüllung

Eher prüde beginnt das Buch Sex — Sehnsucht und Erfüllung von Alain de Botton mit einem Essay über das Küssen. Dabei beschreibt der Autor diesen sinnlichen Akt auf eine derart unsinnliche Weise, dass ich mich frage, ob de Botton je leidenschaftlich geknutscht hat. Die darauf folgenden Essays empfinde ich ähnlich unterwältigend, bin ich mir von de Botton doch Texte gewohnt, die in nur einem Satz aus meinem emotionalen Gedankenwirrwar die Essenz herausdestillieren und mir Sinn und Erkenntnis gewährleisten. Umso mehr langweilen mich nun die doch eher braven Texte Sex im Freien, Oralsex und Analsex. Trotz allem schimmert zwischen den potentiell massentuaglichen Ansichten — angereichtert mit durschnittsgesellschaftlichen Vorurteilen — doch immer wieder ein Lichtblick in Form eines Satzes durch, der den mir gewohnte de Botton erahnen lässt.

Es scheint, dass de Botton mit seinem Buch den Durchschnittsleser (falls es diesen überhaupt gibt) abholen will und diesen Schritt für Schritt an grössere Tabus heranführen möchte. Spätestens beim Essay Der Blick von Fremden skizziert der Autor ein berührendes und ganzheitliches Bild einer Liebe, die über Vorurteile steht und die Vollkommenheit eines Menschen — mit all seinen Schwächen und Unsicherheiten — hervorhebt. Das Buch steigert sich weiter und bei Bisexualität erfreue ich mich über ein kurzes und absolut pointiertes Portrait von Individuen, die die eigenen sexuellen Präferenzen von kulturell akzeptierten Normen abhängig machen, statt zu den eigenen Neigungen zu stehen. Auch vor einem Vergleich von Selbstbefriedigung und Kunst schreckt der Autor nicht zurück und zieht mutig Parallelen zwischen sexuellem Ageplay und der Architektur von Le Corbusier. Das ist der Alain de Botton, den ich mir gewohnt bin und der mit einer Leichtigkeit einer potentiell beunruhigender Thematik eine Einsicht abgewinnt, die beim Leser ein ernüchterndes Gefühl der Selbstakzeptanz inspiriert.

Vielleicht hat Alain de Botton bessere Bücher geschrieben, vielleicht muss man dieses Werk nicht gelesen haben, jedoch lege ich das Essay über Selbstbefriedigung jedem sexuell aktiven Menschen ans Herz. In Sex — Sehnsucht und Erfüllung lernt man nicht viel Neues über Sex. Es geht vor allem darum, mit Tabus und Vorurteilen aufzuräumen, um uns als sexuelle Wesen unvoreingenommen und jenseits von gesellschaftlichen Idealen zu akzeptieren und zu lieben. Auf dieser neugewonnenen Grundlage aufbauend können wir auch unsere(n) Partner(n) die selbe Grosszügigkeit gewährleisten; wir fühlen uns von deren sexuellen Neigungen und Fantasien weniger verunsichert und lernen dadurch eine ganzheitliche Form der Liebe. Und genau das wünsche ich mir in meinen Beziehungen.

Freundschaft, Literatur, Sex


Selene

Beschreibt sich als introvertierte Beziehungsanarchistin, die gerne viel Zeit mit sich alleine verbringt. Versteht Gestaltung und Ästhetik als ihre Lebensaufgabe. Will sowohl beruflich wie auch in der Liebe im Potpourri der Möglichkeiten immer neue verführerische Kombinationen erleben. Bevorzugt Bier dem Wein, Qualität der Quantität und Stille dem Small-Talk. Liebt gerade Linien, Minimalismus und formvollendete Kreationen.