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Traumas & Trigger

Ich erinnere mich noch an den braunen Gartenzaun an welchem wir vorbeigingen in diesem Moment und wie es langsam zu regnen anfing. An die Temperatur in der Luft, die Sträucher am Wegrand, die Kleider die ich trug. Als hätte mein Verstand ein mentales Foto geschossen – in dem Moment, als mein Partner mir freudig eröffnete, dass er kürzlich eine intensive sexuelle Erfahrung mit drei weiteren Personen hatte.

Ich spürte wie sich innerlich ein Loch öffnete und an den Rändern einzubrechen begann. Im mentalen Augenwinkel registrierte ich eine anbahnende Irritation, wollte aber nicht zu überstürzten Schlussfolgerungen gelangen und meinem Partner zunächst zeigen, dass ich mich für ihn freue. Anfangs schien ich diese Bewegung noch konservieren zu können und erfragte ein paar Details zu der Begegnung. Doch die einbrechende Masse begann das Loch zu vergrössern und immer mehr Teile meiner Präsenz mitzureissen. Ich begann regelrecht um meine eigene Aufmerksamkeit zu ringen. Ich fand irgendwann keine Worte mehr. Meine Selbstwahrnehmung fragmentierte und begann ins Bodenlose zu fallen. Taubheit machte sich breit. Mir wurde heiss, ich spürte mein Puls ansteigen. Die aufkommenden Gefühle waren zu gross um sie noch erfassen oder beschreiben zu können. Ich signalisierte meinem Partner, dass ich wohl gerade mitten in einer Retraumatisierung stecke und akut etwas Schutz und Ruhe bräuchte. Wir machten uns wortlos auf direktem Weg nach Hause. Was folgte waren einige der dunkelsten Stunden und schwierigsten Tage seit langem. Allmählich kamen die Empfindungen und Gefühle zurück. Wut, Trauer, Angst, Verletzung und vor allem tiefe existentielle Einsamkeit.

Rückblickend verstehe ich die Situation. Wir hatten im Vorfeld darüber gesprochen, dass wie beide gerne sexuelle Erfahrungen im Mehrfachkontext machen würden. Ein Thema, dass für mich durchaus auch mit Nervosität, Minderwert, Neugierde und Vorsicht verbunden ist. Die Aussicht darauf, diese Erfahrung gemeinsam zu machen, gab mir Mut. Das mein Partner nun diese Erfahrung auf eigene Faust verfolgte, führte zu einer erheblichen Erschütterung meines Vertrauens, meiner Sicherheit und löste ein altes Trauma aus der Sektion allein-gelassen-werden aus. (Dabei muss ich einräumen, dass wir keine explizite Vereinbarung getroffen hatten diesbezüglich – wir gingen einfach von zwei unterschiedlichen Ansichten aus. Das erklärte auch seine freudige Mitteilung, eigentlich völlig nachvollziehbar, schliesslich wollte er etwas teilen was wir beide anstreben.)

Ich hätte in dieser Not damals nicht gedacht, dass ich jemals darüber hinweg komme. Oder, dass ich mich jemals wieder mit ihm normal, über sexuelle Erfahrungen ausserhalb unserer Beziehung unterhalten könnte. Fertig Poly.

Lag daneben. Geht inzwischen wieder. Wir haben seine Spielgefährt*innen sogar inzwischen gemeinsam getroffen. Das war aber verdammt viel Arbeit und hat professionelle Hilfe gebraucht. Und ich habe eine Menge gelernt. Über mich, über unsere Kommunikation, über Selbstverständlichkeiten-die-eben-doch-keine-sind, über Trigger und darüber, dass wir am Ende alle für uns selber verantwortlich sind. Heute reden wir wieder relativ unaufgeregt über solche Dinge und – vorausgesetzt ich bin selber stabil und bei mir – es gelingt auch mich darüber zu freuen, wenn ein Partner von mir Erfahrungen macht, die ich mir auch wünschen würde. Das Leben geht weiter.

*Traumas hinterlassen nachhaltige Erschütterungen in der Persönlichkeit eines Menschen – und sind keine Kleinigkeiten die von selbst verheilen. Es gibt Spezialisten die helfen können. Bitte nicht selber dran herumbasteln.

Eifersucht, Erfahrungsberichte, Kommunikation


Anonym

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