Verletzliche Seiten
Kürzlich habe ich ein Date abgesagt, weil meine Psyche sich spontan für eine Talfahrt entschieden hat. (Soll angeblich passieren von Zeit zu Zeit, man spricht ja nicht so drüber, aber eigentlich geht’s uns allen ab und zu so.*) Also geh ich durch das ganze «Hey mir geht’s grad nicht so gut ich mag niemanden sehen heute» Prozedere und vertröste mein Gegenüber auf bessere Zeiten.
Kurz darauf brennt die Frage: Wen genau will ich eigentlich nicht sehen. Mein Gegenüber, oder mich?
Wir wollen uns ja meistens von unserer besten Seite zeigen. Besonders im Umgang mit Menschen, die uns wichtig sind. Verliere ich nun den Zugang zu dieser ‚besten Version von mir selbst‘, weil meine Psyche eben mal einen Ausflug ins Land der Melancholie macht, komme ich in einen Konflikt. Erlaube ich mir selber Schwäche? Darf ich darin gesehen werden? Darf ich diese kommunizieren? Wenn ja in welcher Menge? Verfehle ich damit eine Erwartung, und wenn ja, wessen Erwartung eigentlich?
Spoiler: Es ist meine eigene Erwartung. Weil ich mich in meiner Schwäche schwer annehmen kann fällt es mir schwer mir vorzustellen, dass jemand anders es trotzdem kann. Ich bin derjenige, den ich nicht sehen will, weil ich gerade nicht mit mir umgehen kann. Ich erfülle meine Erwartungen an mich selber nicht und kann mir nicht vorstellen, dass ich damit jemand anderem ‚genug‘ sein könnte. (Natürlich gibt’s auch Momente, in denen der Verstand oder der Körper signalisiert, dass er Ruhe braucht. Und manche Prozesse müssen auch alleine durchgestanden werden um persönlichen Wachstum zu ermöglichen.) Aber wenn ich meinem Gegenüber keine Chance gebe, seine eigene Reaktion zu gestalten, dann kann ich auch keine korrigierenden Erfahrungen machen.
Also Handy nochmal vorgeholt: ‚Hey ich wollte dich eigentlich gerne sehen, aber es ist mir unangenehm weil ich nicht in Topform bin. Kannst du damit umgehen?‘.
Sie konnte (natürlich) damit umgehen. Hat ein offenes, persönliches Gespräch ergeben. War eine schöne Begegnung und eine korrigierende Erfahrung.**
Und; Fun fact – bin grad‘ noch über ein Video gestolpert zu diesem Thema.
* Nicht falsch verstehen. Es gibt Störungsbilder die aufgrund ihrer Einseitigkeit behandelt werden sollten – Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen etwa, oder die Haltung, dass es einem selbst immer gut gehen sollte.
** Zu meiner Verteidigung, ich kann eigentlich gut mit meiner Schwäche umgehen, aber nicht wenn ich selber schwach bin .. ist ja wirklich der dümmste Zeitpunkt jeweils.