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Ich bräuchte zwei Leben

Damit alles, was ich versuche in mein Leben zu packen Platz hätte, bräuchte ich zwei Leben.„, sage ich zu meinem Therapeuten. Seine Antwort: „Ich bin zwar ziemlich beeindruckt, wie Sie das bisher meistern, aber es scheint mir, Sie sind ein wenig erschöpft, nicht wahr?

Ich hatte gerade darüber sinniert, dass ich irgendwie nicht genug Zeit habe für die Dinge, die ich tun will. Neben Vollzeitjob, 2-3 engeren Partnerschaften, Familie, Haushalt und tollen Freunden reicht es einfach irgendwe nicht so gut fürs spontane Drauflosdaten, wie ich das gerne hätte. Und in dieser Rechnung sind Sport oder ‚mal alleine sein + lesen‘ noch gar nicht mitgedacht. Und mit meinen Arbeitskolleg*innen würde ich eigentlich auch gerne ab und an mal spontan ein Bier trinken gehen.

Oft muss ich kommunizieren, dass es etwas Geduld braucht bis ich wieder an einem Samstagabend in eine andere Stadt pendeln kann, um den Abend mit dir zu verbringen.

Nicht falsch verstehen: Ich bin unfassbar geschmeichelt, dass diese Menschen mir ihre Zeit schenken wollen. Oft geht es mir ja ähnlich – was die Sache nicht einfacher macht, da ich oft gar nicht so viel Zeit zum verschenken habe.

Ich bin sehr sehr glücklich und habe unfassbar tolle Menschen in meinem Leben. Meine bestehenden Liebesbeziehungen sind erfüllend und bereichern mich über die Grenzen dessen hinaus, was ich mir hätte erträumen können. Ich priorisiere Zeit mit meinen nächsten Menschen – ich kann mich selbst sein und bekomme so unglaublich viele schöne Momente geschenkt.

Nichtsdestotrotz exploriere ich gerne, will neue Menschen kennenlernen oder mich einfach etwas öfter mit dem Lover treffen, den ich sonst nur alle 6 Monate sehe.

Ich lese gerne, komme aber nicht dazu. Ich bin gerne alleine. Schwimme gerne. Schlafe gerne 8h pro Nacht. Doch die Nähte des Tages spannen sich mehr und mehr.

Dieser Artikel soll weder ein Klagelied sein, noch will ich so tun, als hätte ich mir dieses Leben nicht selbst kreiert. Ich will darüber sprechen, was ich herausfordernd finde. Ich muss Verantwortung dafür übernehmen, dass meine Bedürfnisse gestillt sind. Und zwar auch Bedürfnisse, die ohne Mitmenschen realisiert werden. Ich muss Sorge zu mit tragen, ohne dabei Angst zu haben, dass man mich weniger mag wenn ich mal 4 Wochen lang keine Zeit für ein Treffen fand. Ich lerne meine Prioritäten präsent zu haben und danach zu handeln. Und eigentlich ist das doch etwas, das wir sowieso tun sollten – Trubel hin oder her.

Ich sehe mich also vor einer Herausforderung. Ich werde um den einen oder anderen Abstrich bzw. die eine oder andere verursachte Enttäuschung nicht herumkommen. Das ist auch okay so. Ich erfahre soviel Gutes, dass es sich lohnt mich mal hinzusetzen und mich genau dafür auch einzusetzen. Also eigentlich für mich selbst einzusetzen. Denn wer liebevoll und fürsorglich mit sich selbst umgeht hat auch mehr zu geben. Und kann lieben, ohne dass ein Mangelzustand im Hintergrund Erschöpfung aufbaut.

Poly-sein hat somit für mich persönlich auch viel mit Self-care zu tun. Unabhängig von den wunderbaren Menschen im meinem Leben will ich Entscheidungen für mich treffen können. Ich wachse an mir selbst.

Erfahrungsberichte


Viola

Will sich bewusst dafür entscheiden, welche Denkmuster sie in ihrem Leben anwendet. Ist Feministin und möchte nie aufhören sich zu überdenken. Fühlt viel und gerne. Liebt neue Ideen, empathische Menschen, gute Bücher, sinnliche Berührungen und philosophische Gespräche bei einem Glas Wein.